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Dass es geht, haben zwei französische
Hobby-Vogelkundler 1999
schon bewiesen. In einem Ultraleichtflugzeug führten Paola und Christian
Moullec damals einen Schwärm von rund 30 Zwerggänsen von Südschweden
über die Ostsee Richtung Niederrhein -eine 1600 Kilometer lange Route,
die die Tiere gewöhnlich nicht einschlagen. 27 Vögel kamen sechs
Wochen später wohlbehalten in ihrem Winterquartier auf der Bislicher
Insel bei Xanten an. Im darauf folgenden Frühjahr meldeten sich 14
»Projektgänse« wieder in ihren Brutgebieten in Schweden
zurück. Ein Paar hatte sich Richtung Lappland davongemacht, ein anderes
war mit einem Schwärm nach Sibirien geflogen. Neun blieben unauffindbar.
Alles in allem eine Erfolgsquote, die Hoffnung machte. In diesem Jahr
ist nun unter Leitung von Wolfgang Scholze, Umweltreferent beim Deutschen
Aero Club, dem Dachverband für Luftsport in Deutschland, ein auf
fünf Jahre angelegtes Gemeinschaftsprojekt mit der Allianz Umweltstiftung
gestartet, das zur Bildung einer entwicklungsfähigen Population führen
soll. Normalerweise steuern Zwerggänse, die in den Tundren von Skandinavien
bis Ostasien beheimatet sind, zum Überwintern Reviere in Osteuropa,
am Schwarzen Meer, am Kaspischen Meer und in Südchina an. Diese Treue
zum Stammland hat sie auch an den Rand des Aussterbens gebracht. Denn
obwohl Zwerggänse weltweit unter Schutz stehen, landen sie statt
im Winterquartier häufig im Kochtopf. Zum Verhängnis wird ihnen
ihre Ähnlichkeit mit Blässgänsen, der am stärksten
bejagten Gänseart im europäisch-asiatischen Raum. Da beide Arten
oft gemeinsam auftreten, geraten sie häufig auch zusammen ins Sperrfeuer
der Jäger.
Unter Dauerbeschuss
Der Dauerbeschuss hat die Zwerge unter den Gänsen - auch zahlenmäßig
sind sie die kleinste Gänsepopulation Eurasiens -in den letzten
Jahrzehnten derart dezimiert, dass es statt der 100 000 Exemplare, die
vor 50 Jahren herumflogen, heute weltweit nur noch rund 20 000 gibt.
Der skandinavische Bestand zählt weniger als 30 Brutpaare. Experten
gehen davon aus, dass das Federvieh - sollte der Schwund in diesem Tempo
weitergehen - in 20 bis 30 Jahren ausgestorben sein wird. Die skandinavische
Population sogar schon in fünf bis zehn Jahren. Allen Schutzappellen
zum Trotz.
Letzte Hoffnung ist vielleicht der Verein »Aktion Zwerggans«,
in dem sich Vogelschützer aus Finnland, Norwegen, Russland, Frankreich
und Deutschland zusammengefunden haben. Nach dem Vorbild der Moullecs
will er in den kommenden fünf Jahren jeweils 100 Gänse pro
Jahr von Lappland am Polarkreis in sichere Winterquartiere am Niederrhein
führen. Da rund die Hälfte aller Zugvögel im ersten Lebensjahr
stirbt - auch ohne Jäger -ist das die Mindestzahl für eine
überlebensfähige Population. Im August startete in Kleinkoschen
in Brandenburg im Rahmen eines Vorprojekts eine Gruppe von Zwerggänsen,
die im Cottbuser Zoo ausgebrütet und auf Menschen und Ultraleichtflugzeuge
geprägt worden waren, erfolgreich zu einem Testflug. Im nächsten
Jahr sollen sie ihre jüngeren Artgenossen von Skandinavien an den
Rhein begleiten. Schon mehrfach gab es von schwedischer und finnischer
Seite Versuche, den Sturzflug der Zwerggänse zu stoppen - die Ergebnisse
waren allerdings mehr als ernüchternd. Das Projekt des kanadischen
Amateur-Ornithologen Bill Lishman im Jahre 1993 dagegen ließ die
Fachwelt aufhorchen. Mit einem Ultraleichtflugzeug führte er Junggansschwär-me
aus ihrer Brutregion in Kanada zu einem von ihm ausgewählten geeigneten
Überwinterungsgebiet in den USA. Dabei machte er sich einen Umstand
zunutze, auf dem auch das Projekt der europäischen Hilfstruppe
aufbaut. Anders als bei Singvögeln wird Gänsen das Zugverhalten
nicht ins Ei gelegt. Sie lernen die Route ins Winterquartier auf ihrem
ersten Flug mit den Eltern. Wer aber als Elternteil akzeptiert wird,
hängt davon ab, wer ihnen nach dem Schlüpfen als erstes vor
den Schnabel kommt. Im Fall der 36 Zwerggänse, die im Juni 1999
schlüpften, waren das Christian und Paola Moullec. Damit wurden
sie automatisch zu Gänseeltern.
Im Juli reisten die Moullecs mit zwei Ultraleichtflugzeugen und 34 gesunden,
aber noch nicht flüggen Gänsejungen nach Öster-Malma
in Schweden, wo mit den ersten Flugübungen begonnen wurde. Ende
August startete eine Formation von zwei Flugzeugen und 30 Junggänsen
Richtung Süden. Die Maschinen, auf die die Tiere zuvor geprägt
worden waren, dienten als Leitgänse. Drei von den 30 Zwerggänsen
setzten sich in Südschweden ab und wurden nicht wieder gesehen.
Mit ihrem Ultraleichtflugzeug führten die Moullecs den Schwärm
auf eine neue Route mehr gesehen. Die anderen starteten Mitte September
im Gefolge der beiden Flugzeuge zum Überseeflug. »Schon in
Schweden, spätestens aber im deutschen Luftraum drohte die Staatsmacht
einzuschreiten«, beschreibt Wolfgang Scholze, Moullecs Freund
und Mitorganisator der Aktion, die Lage am Boden.
Die Moullecs flogen halt, wie es das Wetter erlaubte und hielten sich
kaum an die zuvor von Scholze erstellten und mit den Luftfahrtbehörden
abgestimmten Flugpläne. Und dann landeten sie mit ihrem Schwärm
bevorzugt in sicheren Vogelschutzgebieten, wo es nun gleich ganz verboten
ist, mit einem Fluggerät herum-zukurven. »Wilde nächtliche
Telefonaktionen mit Ämtern und Behörden waren erforderlich«,
sagt Scholze. »Sonst wären sie ihre Gänse losgewesen.«
Zwei Tagesflüge vor dem Ziel gerieten sie dann auch noch in eine
Schlechtwetterfront, die sie zwei Wochen am Boden festhielt. Anfang
Oktober aber kreiste die V-Formation dann schließlich über
der Bislicher Insel am Niederrhein, dem Winterquartier, in dem sich
jedes Jahr auch viele tausend Blässgänse einfinden. Die Auswilderung
zog sich über mehrere Wochen hin, der Kontakt zwischen Mensch und
Gans wurde von Tag zu Tag reduziert. Schließlich bestand die einzige
Verbindung in einer auf der »Schlafwiese« aufgestellten
Puppe. Eine gute Woche hielten sich die Tiere hauptsächlich in
ihrer Nähe auf. Dann unternahmen sie immer weitere Erkundungsflüge
und rasteten schließlich auch nachts an anderen Plätzen.
Im Mai kehrte die erste »Projektgans« auf der im Herbst
erlernten Route nach Öster-Malma zurück. Am Ende waren es
immerhin 14. Damit stand fest, dass es möglich ist, Zwerggänsen
ein neues Zugverhalten anzutrainieren und sie vor dem Flug in den Kochtopf
zu bewahren.
Für Christian Moullec und seine Frau aber war die Erfahrung mit
den Tieren mehr als ein wissenschaftliches Experiment. Sie haben die
Gänse aufgezogen und im Pullover herumgetragen. Sie sind mit ihnen
herumgewatschelt und schließlich mit dem Flugzeug vor ihnen hergefahren.
Und irgendwann haben sie dann gemeinsam die erste Platzrunde gedreht
-mit den Vögeln im Schlepptau. Wind unter die Flügel bekommt
der Verein »Aktion Zwerggans« seit diesem Jahr auch von
der Allianz Umweltstiftung, die das auf insgesamt zwei Millionen Euro
kalkulierte Projekt mit fast 500 000 Euro unterstützt. So wird
man in den nächsten Jahren am Niederrhein wohl regelmäßig
ungewöhnliche Flugformationen beobachten können - mit Ultraleichtflugzeugen,
die einen Schwärm von jungen Zwerggänsen anführen.
Mit
freundlicher Genehmigung der
Allianz Umweltstiftung
Dr. Frank Stern
Spendenkonto
der »Aktion Zwerggans«: Kreissparkasse
Böblingen,
Bankleitzahl: 603 501 30, Kontonummer 166 5004
www.allianz-umweltstiftung.de
www.daec.de
www.zwerggans.de
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